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#blickinszentrum: "Es hätte nicht so weit kommen müssen"

Paul Polyfka ist Kreisgeschäftsführer beim BRK Kreisverband Dachau und musste Ende September sein Impfzentrum schließen und Anfang November wiedereröffnen. Mit uns spricht er über abgewiesene Impfwillige, erschöpfte Mitarbeiter*innen - und wie die mobilen Impfteams an ihre Grenzen stoßen.

Paul, du hast Mitte Oktober gesagt, dass wir durch die Schließung der Impfzentren nicht auf den Worst Case vorbereitet sind. Jetzt stehen wir mitten in der vierten Welle.

Das Orakel von Dachau, ja. Scheinbar hab ich ein Talent dafür, dass es dann eintrifft. Wenn dann können wir gerne in besseren Zeiten sprechen, wenn es um Lottozahlen oder das Wetter geht, aber zu Krisen, Katastrophen und Versagen des Staates gebe ich keine Prognosen mehr ab. Wir sind jetzt strukturell und emotional an einem Tiefpunkt der Krise angekommen. Ich finde die richtigen Worte nicht, für das, was passiert ist. Es hätte nicht so weit kommen müssen.

Aktuell könnt ihr den nächsten freien Impftermin erst am 30. Dezember anbieten, weil das Impfzentrum fehlt. 

Es ginge schneller, hätten wir das Impfzentrum weiter betrieben. Der Übergangsmonat hätte etwa 70 000 Euro gekostet, ein lächerlicher Betrag, wenn man sich überlegt, was der Preis dieser Pandemie ist. Und jetzt hat man die Struktur zerstört, mit der man schnell wieder impfen hätte können - weil es den Verantwortlichen dieses Geld nicht wert war. 

Wie können wir uns die Situation vorstellen, wo und wie wird gerade geimpft?

Wir haben aktuell zwei, in Zukunft drei Impfteams, die bis zu acht Stunden am Tag impfen. Und zwar weiterhin in der mobilen Variante. Mal im Jugendzentrum, mal im Chorprobenraum einer Gemeinde. Wir nutzen den Rotkreuzplatz, unser ehemaliges Impfzentrum immer freitags, um dort die mobilen Impfteams zusammenzuführen und für die Kreisstadt Dachau das beste Impfangebot zu stellen, das zur Zeit möglich ist. Unsere aktuelle Kapazität von maximal 1300 Impfungen pro Woche reicht nicht aus. Wir mussten 80 Mitarbeiter*innen mit der Schließung gehen lassen, die dieses System mitgetragen haben. Die würden wir jetzt dringend brauchen. 

Ihr musstet Menschen wegschicken, weil Impfstoff und Material vor Ort fehlten. Wie war die Reaktion?

Die Leute glauben, dass trotzdem noch etwas geht. Wenn wir sagen: "Bitte stellen Sie sich nicht mehr an, wir haben nichts mehr", stellen sich die Leute trotzdem an. Der engagierte Sohn einer 85-Jährigen wird emotional, wenn er sich mit ihr am Rollator zwei Stunden durch die Kälte gequält hat, und der Arzt sagt: Tut uns leid, wir haben kein Biontech mehr, wenn Sie wollen, können Sie Moderna haben. Es ist vollkommen ungerechtfertigt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort die Prügel abbekommen. Das sind Kolleginnen und Kollegen, die letztes Jahr ihr Weihnachten geopfert haben, die unzählige Überstunden aufgebaut haben, bis in die Nacht geimpft haben. Da leide ich mit.

Und dabei hattet ihr im Sommer noch ein gut funktionierendes System.

Damals funktionierte es mit Terminvereinbarung, Einlassmanagement und genügend Material. Wir haben nach Sonderimpfaktionen wie am Vatertag geglänzt wie der Iron Man der Avengers in der Pandemiebekämpfung und jetzt sind wir diejenigen, die es nicht hinbekommen, dass eine 85-Jährige Oma ihre Impfung bekommt, ohne sich dabei halb zu Tode zu frieren, weil sie draußen vor irgendeinem Container steht, weil die Infrastruktur nichts anderes zulässt. Die Menschen, die zu uns kommen, sind ja meistens diejenigen, die eine Zweitimpfung oder Drittimpfung erhalten. Jetzt sieht es aus, als ob wir erst gestern auf die Idee gekommen wären, ein Impfzentrum zu machen. Aber wir haben nicht die Ressourcen dafür, dieselbe Qualität zu liefern wie damals. Das tut uns unglaublich leid, auch wenn wir als Helfer unter den gegebenen Voraussetzungen alles menschenmögliche geben.

Du hast erwähnt, dass die Kolleginnen und Kollegen schon letztes Jahr Ihre Weihnachtsfeiertage geopfert haben. Wie blickst du auf Weihnachten dieses Jahr?

Ich habe große Angst davor, dass wir während der Weihnachtsfeiertage wieder ein Impfzentrum aufbauen müssen. Es wird meine Aufgabe sein, eine mögliche Erweiterung so zu gestalten, dass wir nicht vor dem 1. Januar anfangen müssen. Die Leute, die ich brauche, um erfolgreich zu sein, die sind alle ausgelaugt. Die aktuelle Welle hat auch bei uns Einschläge verursacht, die näher sind als jemals zuvor.