· Pressemitteilung für Newssync

„Man sieht den Notruf 112 mittlerweile als Serviceleistung.“

Jürgen Ruß ist Disponent in der ILS Schweinfurt und feiert in diesem Jahr sein 40-jähriges Jubiläum als Disponent. Mit uns sprach er zum internationalen Tag des Notrufs am 11.2 über seine Anfänge im Roten Kreuz und was sich in den letzten Jahrzehnten verändert hat.

Herr Ruß, Sie feiern in diesem Monat Ihr 40-jähriges Jubiläum im BRK. Herzlichen Glückwunsch! Erzählen Sie gerne von Ihren Anfängen im BRK.

Vielen Dank! Ich habe 1974 ehrenamtlich als Jugendlicher – ich war damals 14 Jahre alt – in der Wasserwacht begonnen. Dann war ich auch noch in der Bereitschaft ehrenamtlich aktiv und als „dritter Mann“ an Bord im Rettungsdienst. Irgendwann habe ich dann die Ausschreibung für eine Disponenten-Stelle bei der Leitstelle in Schweinfurt gesehen, da habe ich mich beworben und so bin ich 1983 als Disponent auch hauptamtlich zum BRK gekommen.

Erinnern Sie sich noch an Ihre Anfänge als Disponent?

Ich erinnere mich daran, als wäre es erst gestern gewesen! Das war schon sehr aufregend am Anfang, weil ich schnell in die Verantwortung genommen wurde. Das war auch noch die Zeit, wo man als Disponent nachts allein in der Notrufzentrale war.

Es gab damals einen Notruf zu einem Flugzeugabsturz in einem See, ich hatte Spätdienst und ich war alleine – das vergesse ich nie. Es war der 20.08.1983 um 20.11 Uhr. Der Unfall war heftig und es gab einige Schwerverletzte. Ich musste damals zusätzlich die Wasserwacht alarmieren, und das ohne Piepser oder Systeme, die das automatisch machen. Die gab es noch nicht bei der Wasserwacht. Die Verletzten mussten mit dem Hubschrauber in Kliniken gebracht werden. Auch das lief nur per Telefon. Zusätzlich gab es auch keine Stationen für Rettungshubschrauber. Wir hatten hier in Schweinfurt Amerikaner stationiert und die hatten eine medizinische Einheit, mit der wir eine Vereinbarung hatten, dass wir einen Hubschrauber bekommen, wenn wir anrufen – wir haben also die Amerikaner verständigt und den Notarzt sowie einen dienstfreien Mitarbeiter der Leitstelle angerufen. Damals gab es oft individuelle Abläufe, das geht heute gar nicht mehr. Heute ist alles festgeschrieben und geregelt.

War das auch das intensivste Erlebnis, dass Sie als Disponent erlebt haben?

Nein, das war zwar schlimm, aber emotionaler war für mich ein anderer Notruf: Ich habe einmal einen Anruf von einer Ehefrau bekommen, die ihren Mann gesucht hat. Der Mann war mit dem Motorrad unterwegs, er wollte längst zurück sein und im Radio hatte sie schon von einem schlimmen Unfall mit einem Motorradfahrer gehört. Sie hatte dann bei uns nachgefragt, ob wir mehr wissen und ob das ihr Mann ist.

Wir hatte eigentlich schon den Notfallseelsorger organisiert, weil es sich tatsächlich um ihren Mann handelte, der dort ums Leben kam – aber die Frau kam uns mit dem Anruf einfach zuvor. Das war wirklich belastend für mich, weil ich der Frau dann sagte, dass ich nicht mehr wissen würde und keine Namen nennen kann. Ich wollte ihr die schlimme Nachricht nicht einfach so am Telefon mitteilen, das konnte ich nicht. Ich habe dann die Polizei nochmal verständigt und darum gebeten, dass man sofort mit dem Notfallseelsorger zu ihr fahren muss.

Wie können wir uns einen typischen Tag als Disponent*in vorstellen?

Bei mir ist kein Tag gleich. Den typischen Tag gibt es eigentlich nicht. Das ist das tolle an meinem Job! Ich komm in der Früh in die Leitstelle, dann gibt es eine kurze Übergabe von der Schicht davor. Man bespricht wo welches Einsatzmittel unterwegs ist und was ich zur Verfügung habe an Kliniken und Betten, damit ich einen Überblick habe. Dann muss ich je nach Anruf schauen, was anliegt und was ich entsenden muss. 

Welche Fähigkeiten machen eine*n guten Disponent*in aus?

Wir nehmen Notrufe an, das ist die wichtigste Funktion in meinen Augen. In diesem Gespräch muss ich entscheiden, welche Hilfe ich entsende. Das muss der Disponent oder die Disponentin anhand der Informationen ausarbeiten – und das muss schnell passieren. Man muss die Gesprächsführung so beherrschen, dass man schnell die wichtige Information bekommt und schnell helfen kann.

Natürlich muss man das Fachwissen haben, den Einsatzwert der Einheiten kennen, verschiedene Alarmierungsarten bedienen können und auch die Technik dazu muss sitzen. In der Leitstelle muss ich standhaft sein, muss mit Zeitdruck umgehen können und trotzdem qualitativ Leistungen bringen. Auch Empathie für den Anrufer und für die Kolleginnen und Kollegen ist wichtig, weil wir hier keinen normalen Bürojob haben.

Und was macht den Job für Sie so besonders?

Das Wissen, dass man mit der Arbeit Menschen helfen kann, das ist toll. Wir machen auch telefonische Reanimationen und da merkt man sehr deutlich, dass wir wirklich Leben retten. Das war früher nicht so. Früher wusste ich oft nicht was mit den Patienten im Nachgang passiert. Allgemein kann ich sagen, dass mich die Grundsätze des BRK sehr begeistern, das hat dafür gesorgt, dass mein Ehrenamt zum Hauptamt wurde.

Haben Sie den Job deswegen auch 40 Jahre lang ausgeführt?

Unter anderem! Die Verantwortung, die wir haben ist enorm, die Belastung natürlich auch. Ich liebe meine Arbeit aber dennoch, sie ist toll und abwechslungsreich.

Wie hat sich Ihre Arbeit über die Jahre verändert?

Die Technik hat sich wohl am meisten verändert, ich kann heute ganz einfach Informationen zum Einsatz an die Einsatzkräfte übermitteln. Zu Beginn hat man den Notruf noch auf einen Papierzettel aufgeschrieben - auf weiß, grün oder rot. Heute läuft das über ein Einsatzleitsystem.

Aber auch die Anrufer haben sich verändert, viele Leute rufen einfach an, wenn es ihnen schlecht geht. Auch wenn kein Notfall vorliegt. Man sieht den Notruf 112 mittlerweile als Serviceleistung, die Hemmschwelle ist deutlich gesunken. Die dadurch entstanden Belastung ist enorm, nicht nur für uns, sondern auch für die Kolleginnen und Kollegen auf den Wachen oder im Krankenhaus. Schließlich lassen wir niemanden allein, wenn ein Notruf kommt – auch wenn er noch so klein ist. Wir kümmern uns.

Würden Sie sich heute wieder für den Beruf des Disponenten entscheiden?

Ich liebe meinen Job und würde mich immer wieder dafür entscheiden.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Berufsbildes Disponent*in?

Ich freue mich sehr, dass wir derzeit mehr Bewerbungen erhalten. Das ist toll, denn wir brauchen dringend mehr Personal. Ich wünsche mir, dass sich noch mehr Leute bei uns bewerben.

Aber ich wünsche mir auch, dass der Disponent bzw. die Disponentin ein eigenes Berufsbild wird. Aktuell ist festgeschrieben, dass man eine Ausbildung zum Hauptbrandmeister und zur Rettungsassistenz haben muss. Ein Disponent braucht in meinen Augen aber andere Anforderungen: Ich muss medizinisch beschriebene Bilder verstehen können, herausfinden was der Hintergrund dazu ist und den taktischen Einsatzwert der Feuerwehren erlernen um entsprechend zu alarmieren. Hinzu kommt die notwendige Geschicklichkeit der Gesprächsführung. Das fände ich am wichtigsten, dass man da eine eigene, auf die Aufgabe zugeschnittene, Ausbildung ermöglicht.

Vielen Dank für das interessante Interview!