Frau Schorer, Sie übergeben nach vier Jahren Ihr Amt in neue Hände. Diese Zeit war auch geprägt von inneren Kontroversen, wechselnden Geschäftsführern, durchgestochenen Unterlagen: Wie blicken Sie persönlich zurück?
Präsidentin Angelika Schorer: Ich blicke mit großem Respekt und Dankbarkeit auf diese vier Jahre. Wir haben in einer sehr bewegten Zeit – gerade 2021 war noch von der Coronapandemie geprägt – viel angestoßen. Viel Gutes, was erreicht wurde, wurde durch die vergleichsweise wenigen, aber aufmerksamkeitsstarken negativen Themen überschattet.
Bei meiner Kandidatur 2021 habe ich fünf wesentliche Vorhaben – für den Katastrophenschutz, die Pflege, die Innovationsarbeit und den Bevölkerungsschutz – zugesagt. Heute darf ich feststellen: Sie sind Realität geworden. Ja, es gab Kontroversen – dennoch ist es an entscheidenden Stellen gelungen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Es war nicht immer einfach und es hat mich auch persönlich viel Kraft gekostet.
Wie haben Sie das Verhältnis des Präsidiums und der Landesgeschäftsstelle zur Basis – und umgekehrt – wahrgenommen?
Schorer: In fast allen 73 Kreisverbänden durfte ich in den letzten vier Jahren zu Gast sein. Ich habe viele Menschen getroffen, die mit Fachlichkeit, Herz und Haltung anpacken. Sie sind die Herzkammer unseres Roten Kreuzes. Diese Basis repräsentiert das BRK – nicht irgendwelche Einzelpersonen.
Mein Dank gilt ihnen allen – im Ehren- wie im Hauptamt, in den Gemeinschaften, Einrichtungen und Diensten. Sie sind das Fundament, auf dem unser Verband steht. Wir haben in diesen vier Jahren auch kontrovers diskutiert – über Strukturen, Umlagen, Zuständigkeiten und Positionen. Aber: Wir müssen besser darin werden, hart in der Sache und verbindlich im Ton zu sein. Wir sind keine Zweckgemeinschaft, wir sind eine Wertegemeinschaft. „Menschlichkeit“ beginnt nicht erst am Einsatzort, sie beginnt im Umgang miteinander.
Wie sieht es um die finanzielle Stabilität des Verbands aus – gerade auch vor dem Hintergrund stetig steigender Kosten in allen Bereichen?
Schorer: Dreh- und Angelpunkt aller finanziellen Herausforderungen im Wohlfahrtsbereich ist der allgegenwärtige Fachkräftemangel. Sozialleistungen dürfen nicht zum Luxusgut werden, Leistungserbringer nicht in den Ruin getrieben werden. Hier ist der Staat gefragt.
Das Rote Kreuz wird nach wie vor als wichtige Hilfsorganisation wahrgenommen, sein Aufgabenspektrum wird aber immer breiter und vielfältiger. Würden Sie hinsichtlich des Geschäftsbetriebs Grenzen ziehen und irgendwann sagen: Das ist nicht mehr Aufgabe des BRK?
Schorer: Einer unserer Leitsprüche ist: Unsere Mission, Menschen helfen. Das ist der Kern unserer Arbeit. Unsere Arbeit muss dem Menschen helfen. Hierzu gibt unsere Satzung wichtige Leitplanken vor. Dazu zählt auch, klar abzugrenzen, welche Aufgaben das Rote Kreuz übernehmen kann – und welche nicht. Wir benennen das im Bedarfsfall auch.
Ein Beispiel ist die Coronavirus-Pandemie, als wir kurzfristig beauftragt wurden, an Autobahnrastanlagen Teststationen einzurichten. Wir haben die Teststationen notfallmäßig über Nacht aufgebaut – aber dann auch klar benannt, als die Phase der Not überschritten und der Übergang an einen kommerziellen Dienstleister geboten war.
Die Bereitschaft zum Engagement in Vereinen und Verbänden lässt aber überall nach – auch beim Roten Kreuz?
Schorer: Das Engagement im Bayerischen Roten Kreuz ist ungebrochen hoch. Wir haben in den letzten Jahren wiederholt Neumitgliederrekorde verzeichnet und wir unternehmen auch sehr viel, um neue Mitglieder zu gewinnen. Rund 30 000 neue Mitglieder traten in den letzten drei Jahren dem Bayerischen Roten Kreuz bei.
Wie stehen Sie dann zu einem verpflichtenden Dienstjahr?
Schorer: Beim Dienstjahr bin ich zwiegespalten. Ich bin klar der Meinung, dass gesellschaftliches Engagement notwendig ist, möglicherweise sogar mehr denn je. Ich sehe aber auch, dass sehr viele junge Menschen bereit sind, sich einzubringen und mehr zu tun, als es ihre Pflicht wäre.
Wir hatten in den letzten Jahren immer mehr Bewerberinnen und Bewerber auf ein Freiwilliges Soziales Jahr oder einen Bundesfreiwilligendienst, als vom Bund Stellen finanziert wurden. Die absurde Folge: Wir mussten jungen Menschen Absagen erteilen. Es gibt also genügend Menschen, die bereit wären – auch ohne eine Pflicht – mehr zu tun und sich für ihre Mitmenschen einzubringen. Es geht also weniger um die Frage, wie wir Menschen verpflichten können – sondern vielmehr um die Frage, wie es der Bund schaffen kann, genügend Stellen zu finanzieren.
Sie waren erst die zweite Präsidentin an der Spitze des BRK. Haben Sie dabei auch Gegenwind verspürt?
Schorer: Frauen spielen eine gewichtige Rolle im Bayerischen Roten Kreuz: Rund 70 Prozent unserer Beschäftigten sind Frauen. Umso wichtiger ist daher, dass die prozentuale Mehrheit im BRK auch eine entsprechende Repräsentanz in Führungspositionen auf allen Verbandsebenen – vom Kreis- bis hin zum Bundesverband – erfährt. Das ist wichtig. Hier geht es nicht um Quoten. Es geht um echte Repräsentanz und Vorbilder für zukünftige Generationen.
Suchen wir weiterhin das Verbindende, bevor wir das Trennende vertiefen.
Bleiben Sie dem BRK persönlich verbunden und was wünschen Sie sich für die Zukunft des Hilfsdienstes?
Schorer: Selbstverständlich. Als Ehrenvorsitzende des BRK-Bezirksverbandes Schwaben und auch als Mitglied des Kreisverbandes Ostallgäu bin und bleibe ich dem Bayerischen Roten Kreuz eng verbunden!
Mein Wunsch für die Zukunft: Suchen wir weiterhin das Verbindende, bevor wir das Trennende vertiefen. Modernisieren wir weiter unsere Strukturen, ohne unsere föderale Stärke zu verschenken. Machen wir Prozesse klarer, Zuständigkeiten schlanker, Entscheidungen schneller. Ich wünsche dem künftigen Präsidium und Landesvorstand die Kraft, das BRK auf dem Wege der Weiterentwicklung zielführend zu begleiten.

